Redebeitrag auf der FLINTA*-Demo „Take back the night“ am 30. April 2021

Am Abend des 30. April – auch als Walpurgisnacht bekannt – fanden in vielen Städten empowernde FLINTA*-only Demos unter dem Motto “Take back the night” statt. Diese feministische Tradition stammt aus den 70er Jahren und steht für das Zurückerobern der Straße und der Nacht. Wir waren in Freiburg dabei und durften einen Redebeitrag halten. Die Rede könnt ihr euch beim Radioydreyeckland anhören, dort gibt es auch einen ausführlichen Bericht über die Demo: https://rdl.de/beitrag/take-back-night-demo-wir-sind-nicht-erst-seit-gestern-w-tend-0.

Außerdem posten wir die Rede hier zusätzlich in schriftlicher Form, da wir sie für einen wichtigen inhaltlichen Beitrag halten und sie als Text eventuell leichter verständlich ist.


Liebe Kompliz:innen die heute hier zur Demo gekommen sind,
Zuerst einmal möchte ich den Organisator:innen der „Take back the night“ Demo in Freiburg danken, dass ihr uns genau heute auf die Straße holt, wo auch andernorts, in Italien oder Mexiko Proteste stattfinden. Im Demoaufruf steht „Wir sind nicht erst seit gestern wütend“. 
        
Dem Aufruf, die Wut auf die Straße zu bringen und für Sichtbarkeit zu sorgen, schließt sich die Kampagne körperZORN, für die ich heute spreche, an. 
Wir sind FLINTA*s, die sich gemeinsam organisieren und als Teil feministischer Bewegungen verstehen. Schwerpunkt unserer Kampagne ist der Kampf gegen die kapitalistische und lookistische Fernseh- und Werbeindustrie.
Ein Beispiel dafür ist Germanys Next Top Model.
        
Die Horrorshow ist seit Februar das 16. mal am Laufen. Wöchentlich werden Teilnehmer:innen kritisiert, kommentiert, aussortiert.
Die Sendung vermittelt: Ein konstruiertes Ideal kann erreicht werden. Wenn du dich nur genug anpasst, disziplinierst, Erniedrigungen über dich ergehen lässt, dich auf einen Konkurrenzkampf einlässt und sogar Grenzüberschreitungen schweigend hinnimmst. 
Hierbei werden Bilder von Normkörpern gemalt und gleichzeitig definiert, wer von diesen abweicht. 
        
Menschen, welche die vermeintlich ‘angesehene’ Körpergröße und Körperform haben, sowie nicht-be_hindert und ‘weiß’ sind, die ‘angemessene’ Kleidung tragen und den Look einer binär männlichen oder weiblichen Geschlechterrolle erfüllen bzw. ihr Erscheinungsbild entsprechend anpassen, erhalten soziale Anerkennung. 
        
        – Menschen mit Be_hinderungen,
        – ‚nicht-weiße‘ Menschen,
        – Menschen, die durch das Erscheinungsbild nicht klar weiblich oder
männlich zugeordnete
Normen erfüllen,
        – Menschen, die aufgrund von Kleidung stigmatisiert werden,
        – Menschen, die aufgrund von Körperform oder Körperlänge nicht
den gesetzten Normen
entsprechen,
        – und Menschen mit gealterten Körpern 
weichen von konstruierten Normkörpern oder ‘angesehenen’ Erscheinungsbildern ab. Durch diese Konstruktion von Normalität und Abweichung wird eine Hierarchisierung von Menschen vorgenommen. Dies wirkt sich wiederum auf die individuellen Einfluss- und Partizipationsmöglichkeiten im gesellschaftlichen Leben, auf Arbeitsplatzchancen und auf Zugänge zu sozialen Netzwerken aus.
        
Wir haben uns hier heute als FLINTA*s zusammen gefunden um in cis-männlich dominierten Strukturen laut und sichtbarer zu werden. Jedoch stehen wir hier nicht als einheitliche Masse!
Diskriminierende Strukturen privilegieren und diskriminieren uns alle ein- oder mehrfach unterschiedlich!
        
Eine Trans*frau steht unter dem Druck, sich an Feminitätskonstruktionen anzupassen, um in einem konstruierten binären Geschlechtersystem als das akzeptiert zu werden, was sie ist: eine Frau. 
Gerade in linken, als auch feministischen Kreisen besteht eine gewisse Feminitätsfeindlichkeit: Rasur, Make-up oder feminine Kleidung werden oftmals abgelehnt und an sich als Ausdruck patriarchaler Unterdrückung verstanden. Die Idee dahinter: Ausbrechen aus zugeschriebenen Schönheitsidealen mit denen cis-Frauen konfrontiert werden.
Doch was bedeutet das beispielsweise für eine Trans*frau, die ohnehin darum kämpfen muss, als Frau akzeptiert zu werden? Verständlicherweise eignet sie sich Dinge an, die als feminin gelten.
Ähnlichen aber auch anderen Herausforderungen sind BIPOC FLINTA*s oder FLINTA*s mit Be_hinderungen ausgesetzt. 
Daher appellieren wir an uns selbst, ständig eigene Normalitätskonstruktionen und Empowermentstrategien zu hinterfragen und solidarisch füreinander einzustehen. 
        
Diskriminierungen passieren unter anderem, weil Menschen nicht den konstruierten Körpernormen entsprechen. Diese Normen werden von Germany’s Next Top Model bewusst mitproduziert und aufrechterhalten.
Umso heuchlerischer also, dass das diesjährige Motto der Show lautet: 
“Wir machen uns für Diversity stark.” “Wir stellen uns Diskriminierung in den Weg.”
Das Motto dient nur als Imagebeschönigung und wird auf übelste Art für kapitalistische Profite missbraucht!
Wir fordern von GNTM: hört auf, Diversität als Trendbegriff durch den Dreck zu ziehen und den Wert eines Menschen an das Erscheinungsbild zu knüpfen! Wir brauchen einen Kampf gegen Diskriminierungen der tief an die Wurzeln geht und das große Ganze in Frage stellt!
Nach heftigstem Beschämen und Aussortieren, wird am 27. Mai das sogenannte “Topmodel” 2021 auserkürt.
Wir lassen nicht zu, dass dies erfolgreiche Einschaltquoten bringt und mobilisieren zum Protest: GNTM boykottieren!
Wir rufen Menschen aller Geschlechter auf, ab dem 22. Mai unter dem Hashtag #GNTMboykottieren ein Statement zu setzen. Mit dem Foto von einem Banner, einem Plakat, einem Schild, einem einfachen Satz, einer Videobotschaft oder Ähnlichem, kannst du deinem Statement, warum du GNTM boykottierst, Sichtbarkeit verleihen. Mehr zur Aktion ist bald unter koerperzorn.noblogs.org oder auf unseren Social Media Kanälen zu finden.
                
Verbreitet den Riot und lasst uns lauter sein als diese Horrorshow.
Wenn Einschaltquoten sinken, verliert die Sendung an Einnahmen und Einfluss. So können wir Bilder konstruierter Normkörper aufbrechen und uns darin bestärken, dass jeder Körper richtig ist!
        
Zorn statt Körpernorm! Zorn statt Körpernorm!