Konstruktion von Körpernormen

“Guck mal, sieht der fett aus!!” – “Wow, schönes kleid” – “Ich fühl mich heut so hässlich”

Die meisten von uns nehmen solche oder ähnliche Bewertungen fast täglich vor. Mit Übereifer analysieren, beurteilen und kritisieren wir unser eigenes Aussehen, sowie das unserer Mitmenschen. Dabei nehmen wir selten bewusst wahr, was wir da eigentlich tun, nämlich Menschen permanent in “hässlich” oder “schön” Schubladen zu stecken, sie rein aufgrund von Äußerlichkeiten zu bewerten und zu hierarchisieren. Schön sein heißt demnach erfolgreich sein, dünn sein, diszipliniert sein, beliebt sein, sexuell attraktiv sein….Hässlich sein auf der anderen Seite bedeutet zu versagen, nichts wert zu sein, niemanden “abzukriegen”, faul zu sein. Doch worher kommt diese Normierung in “schön” und “hässlich”? Und liegt Schönheit wirklich im Auge der Betrachter*in?

Zunächst sei festgehalten, dass Körpernormen, also was wir als “schön” oder “hässlich” “dick”, “dünn” “behindert” “klein” “männlich” “weiblich” …..wahrnehmen, stark durch gesellschaftliche Prozesse bestimmt wird und stark von Kultur, Zeit und sozialem Umfeld abhängig ist. Klassische Beispiele für Schönheitsideale, die uns heute geradezu absurd erscheinen, sind die Korsette, in die sich Frauen jahrhundertelang in Europa zwängen mussten, um eine möglichst schmale Taille zu bekommen, oder die bis ins 20. Jahrhundert in China weit verbreitete Praxis kleinen Mädchen die Füße abzubinden und ihre Zehen zu brechen, einfach weil das damalige Schönheitsideal für Frauen, kleine Füße beinhaltete. So grausam uns das heute vorkommen mag, wenn man bedenkt, wie viele Menschen sich heut zu tage Botox spritzen, die Vulvalippen verkleinern, die Brüste vergrößern oder die Lachfalten liften lassen, nur um einem bestimmten Schönheitsideal zu entsprechen, sind wir von all dem vielleicht viel weniger weit weg, als wir manchmal denken.

Schönheitsideale und Körpernormen spiegeln darüber hinaus auch postkoloniale Strukturen wieder und sind des Weiteren aufs Engste mit anderen Formen von Diskriminierung (ableism, ageism, sexism..) verwoben. So haben beispielsweise die meisten Hautcremes, welche im asiatischen und afrikanischen Raum verkauft werden, den sog. whitening effect, sie sollen also die Haut leicht aufhellen. Hier zeigt sich deutlich die Schönheitsnorm von heller Haut, welche auf rassistischen Denkmustern basiert, und zudem für manche Menschen schlichtweg nicht erreichbar ist. Auch die Geschlechtszuschreibung eines Menschen beeinflusst deutlich das erwartete Erscheinungsbild. Wie groß oder klein darf jemand sein, um noch als attraktiv wahrgenommen zu werden? Wie viel Körperbehaarung ist erlaubt? Nicht für jede*n gelten die gleichen Körpernormen! An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Verknüfung von Geschlecht und Aussehen, als besonders komplex beschrieben werden kann. Besonders Menschen, welche nicht in die heteronormative Vorstellung von Geschlecht passen, sind oftmals Diskriminierungen ausgesetzt und bewegen sich häufig in einem Spannungsfeld aus Eigen- und Fremdzuschreibungen. Dabei kann es durchaus auch ermächtigend sein, endlich einer gewissen Körpernorm zu entsprechen, und somit die erwünschte Geschlechtszuschreibung zu erfahren.

Die Konstruktion von Körpernormen kann also nicht getrennt von anderen sozialen Konstruktionen betrachtet werden, sondern ist vielmehr als Spiegelbild gesellschaftlicher Machtverhältnisse und Ausgrenzungsmechanismen zu begreifen, welche auf komplexe Art und Weise ineinandergreifen.