Warum wir uns FLINTA*only organisieren

2. Warum wir uns FLINTA*only organisieren…

…weil GNTM vor allem FLINTA*s auffordert mit ihren Körpern in Konkurrenzkampf zu gehen, um einem gesetzten Schönheitsideal nachzueifern. Der in GNTM gelebte und gesellschaftlich verbreitete Lookismus richtet sich an FLINTA*s, deren Körper im bestehenden patriarchalen System objektifiziert und sexualisiert werden.

Was bedeutet Lookismus und welche Menschen sind besonders von Lookismus betroffen?

Lookismus bedeutet Diskriminierung aufgrund des Erscheinungsbildes. Es wird von konstruierten Schönheitsidealen ausgegangen, die den sogenannten ‚Normkörper‘ verbildlichen. Schönheitsideale werden in der Öffentlichkeit, beispielsweise in der Werbung, verbreitet und etablieren sich durch das Nacheifern vieler. Menschen, die von diesen nahezu unerreichbaren Idealen abweichen, also gewissen Körpernormen nicht entsprechen, erleben Abwertung, Ausschluss und erhalten weniger Einflussmöglichkeiten.

Menschen, welche die ‘angesehene’ Körpergröße und Körperform haben, sowie nicht-be_hindert und ‘weiß’² sind, ‘angemessene’ Kleidung tragen und den Look einer binär männlichen oder weiblichen Geschlechterrolle erfüllen bzw. ihr Erscheinungsbild entsprechend anpassen können, erhalten soziale Anerkennung. Das Erfüllen bestimmter Normen ist mit positiv konnotierten Zuschreibungen, wie beispielsweise Leistungsfähigkeit, Disziplin oder Erfolg, verbunden. Dies ist im herrschenden kapitalistischen System insofern von Bedeutung, als dass dementsprechend Zugänge zu Institutionen, Arbeitsstellen oder sozialen Netzwerken gewährt werden. Auch die Chancen auf soziale Teilhabe und gesellschaftliche Partizipation verbessern sich durch den Besitz eines ‘Normkörpers’ erheblich.

Menschen können nur sehr begrenzt beeinflussen, ob sie dem konstruierten Normkörper entsprechen oder nicht. Einige Merkmale sind angeboren und unveränderbar und erfahren durch ein sich über Jahrhunderte gewachsenes diskriminierendes Machtsystem Auf- oder Abwertung. So sind als Norm oder als Abweichung definierte Körpermerkmale oft auch Verbildlichungen für verschiedene Diskriminierungsformen. Lookismus im Sinne der Abweichung von ‚Normörpern‘ kann als Analysekategorie verschiedener Diskriminierungen und deren Verstrickung genutzt werden.

Unter anderem weichen
– Menschen mit Be_hinderungen³,
– ‚nicht-weiße‘ Menschen,
– Menschen, die durch Körper und oder Erscheinungsbild nicht
klar weiblich oder männlich zugeordnete Körpernormen
erfüllen,
– Menschen, die aufgrund von Kleidung stigmatisiert werden,
– Menschen, die aufgrund von Körperform⁴ oder Körperlänge⁵
nicht den gesetzten Körpernormen entsprechen,
– und Menschen mit gealterten Körpern

vom konstruierten Normkörpern oder ‘angesehenen’ Erscheinungsbildern ab. Durch diese Konstruktion von Normalität und Abweichung wird eine Hierarchisierung von Menschen aufgrund ihres Erscheinungsbildes vorgenommen, welche sich wiederumm auf die individuellen Einfluss- und Partizipationsmöglichkeiten des gesellschaftlichen Lebens auswirkt.

Bedeutung von Lookismus und GNTM für FLINTA*s

Heidi Klum lädt in ihre Show ‚Germanys Next Top Model‘ junge FLINTA*s ein, in die Welt des Modelbusiness hineinzuschauen. In jeder Folge einer Staffel geht es darum, Kandidat*innen, die laut der Bewertung der Jury weniger ‘schön’ sind oder weniger das Zeug zum Model haben als die anderen Kandidat*innen, auszusortieren. Bis am Ende ein*e Gewinner*in bleibt.

Damit wendet sich GNTM in erster Linie an junge FLINTA*s. Nicht nur an jene, welche sich bei der Castingshow bewerben, sondern auch an jene, welche die Show vor dem Bildschirm mitverfolgen. Vor allem junge FLINTA*s fühlen sich persönlich angesprochen und vergleichen sich mit den in der Sendung verkündeten Idealen und Bewertungen und beginnen, sich in Konkurrenz mit den anderen zu sehen und vom dort repräsentierten Normkörper Abweichungen am eigenen Körper zu verurteilen.

FLINTA*s wird unter anderem durch Sendungen wie GNTM vermittelt, dass ein normangepasstes Erscheinungsbild für sie von Bedeutung ist, um Karriere machen zu können und Anerkennung zu erhalten. Ihr Auftrag lautet, sich diesen Schönheitsidealen, egal wie nah oder fern sie scheinen, durch Körperdisziplinierung (wie zum Beispiel Rasur) anzunähern. Die Reduzierung auf das Erscheinungsbild, verbunden mit der Überhöhung der Bedeutung des Aussehens führt zur Objektifizierung. FLINTA*s lernen sich als passive, zu bewertende Objekte statt als gestaltende Subjekte in der Welt zu begreifen und die eigene Anerkennung von gesellschaftlicher Bewertung des eigenen Erscheinungsbildes abhängig zu machen. Dem angeschlossen sollen die jungen FLINTA*s sich möglichst ‚sexy‘ zeigen und den Körper als sexuell aufgeladenes Objekt, zur Schau stellen. Was hier passiert, stellt sich als Sexualisierung der Körper von FLINTA*s heraus. Somit werden FLINTA*s zu sexuellen Objekten degradiert und die Möglichkeit auf Selbstbestimmung wird ihnen abgesprochen. Objektifizierung und Sexualisierung von FLINTA*s sind Teil patriarchaler Strukturen, welche hauptsächlich von cis-Männern geschaffen wurden und aufrechterhalten werden.

Körper, die in den Medien zum Gegenstand von Schönheitsdiskursen gemacht werden, sind überwiegend FLINTA* positioniert. Es wird FLINTA*s zugesprochen, den eigenen Körper als Objekt und Teil der kapitalistischen Vermarktung in Medien und Werbung zu nutzen, sofern sie diesen optimieren und an die konstruierte Körpernorm anpassen (können). Dies verdeutlicht den Zusammenhang und das gegenseitige Aufrechterhalten von Kapitalismus mit Sexismus und weiteren Diskriminierungen. Deshalb verstehen wir den Kampf gegen Lookismus und gegen GNTM nicht nur als Kampf gegen Diskriminierungen, die am Erscheinungsbild sichtbar werden, sondern auch gegen den Kapitalismus.

Auch wenn Heidi verkündet, dass bei ihr ‚alle‘ willkommen sind, wird sich weiter am gängigen Normkörpern orientiert. Wer von diesem abweicht wird als ‚anders‘ und nicht-normal in der Sendung präsentiert. Dabei ist das Abweichen von konstruierten Normkörpern die eigentliche Normalität und Realität. Körper sind so vielfältig und jeder ist in seiner Individualität normal.

…weil wir unsere Aktionen als Akt der Selbstermächtigung verstehen und einen Umgang mit Objektifizierung und Sexualisierung als Menschen mit nicht cis-männlichen Normkörpern finden wollen.

Wir wollen einen Raum öffnen, in dem sich FLINTA*s organisieren können, um Strategien der Ermächtigung zu finden, mit Objektifizierung und Sexualisierung des eigenen Körpers umzugehen.

Zum einen wollen wir dafür einen ‚safer-space‘⁶ schaffen, um uns mit der eigenen einfachen oder mehrfachen Unterdrückung auseinander zu setzen und darüber sprechen wie Objektifizierung und Sexualisierung unserer Körper Einfluss auf unser Dasein hat.

Zum anderen wollen wir unsere eigene Stimme nach außen tragen, für uns selbst sprechen, als handelnde Subjekte erleben und als diese sichtbar sein und in Form eines revolutionären Akts von unten laut werden.

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1 Der Ausdruck ‚gelesen‘ steht für das Geschlecht, das einer Person aufgrund von äußeren Merkmalen und gesellschaftlichen Konstruktion zugeschrieben wird. Dies verdeutlicht, dass es zwischen dem wie eine Person gelesen wird und dem wie sie sich selbst bezeichnet zu Diskrepanzen kommen kann. Der Begriff ermöglicht, das unter Machtverhältnissen gewachsen und geprägte ‚gesellschaftlich binäre Denken‘ in Bezug auf Gender (also männlich oder weiblich) zu benennen, aber dabei gleichzeitig auf dessen Fehlschluss und Konstruktion hinzuweisen.

2 Mit den Bezeichnungen ‚schwarz‘ und ‚weiß‘ sind nicht biologische Eigenschaften wie die Hautfarbe gemeint, sondern politische und soziale Konstruktionen und Positionen als Diskriminierte oder Privilegierte in einer rassistischen Gesellschaft. Um dies kenntlich zu machen, werden die Begriffe hier in Anführungszeichen geschrieben.

3 Der Unterstrich im Wort Be_hinderung soll die Be_hinderung von Menschen durch äußere Umstände wie Barrieren und diskriminierende Strukturen erkennbar machen und verdeutlicht, dass Be_hinderung vor allem ein gesellschaftliches Konstrukt ist, welches durch ausgedachte Grenzen sehr variabel ist.

4 Gewichtsdiskriminierung erleben Menschen mit ‚großen Körpern‘. Oft wird ihnen aufgrund der Körperform Faulheit und weitere Abwertungen zugeschrieben. Die Annahme, dass Dick-Sein das Ergebnis schlechter Ernährungsentscheidungen und Inaktivität ist, führt zu Stigamtisierung. Eine zentrale Rolle bei Gewichtsdiskriminierung spielt der BMI, welcher kritisch betrachtet werden muss. Denn dieser teilt Menschen aufgrund des Verhältnisses zwischen Körpergewicht und Körpergröße in normal und abweichend ein und hat durch medizinische Deutungshoheit große Wirkmächtigkeit. Menschen mit ‚großen Körpern‘ erleben oft Fatshaming, was Abwertung, Beleidugungen oder Mobbing aufgrund der Körperform meint.

5 Heightismus bezeichnet die Diskriminierung aufgrund von Körperlänge. Menschen mit kurzen Körpern werden Fähigkeiten abgesprochen, sie werden weniger ernst genommen und ‘Kleinsein’ mit ‘Untergebensein’ gleichgesetzt. Männlichkeit von männlich gelesenen kurzen Personen wird in Frage gestellt. Weiblichkeit von weiblich gelesenen kurzen Personen hingegen nicht. Jedoch wird bei weiblich gelesenen Personen mit besonders langen Körpern Weiblichkeit in Frage gestellt und die Personen mit Eigenschaften wie Härte und Unsensibilität konnotiert.

4 Ein safer-space ist ein Raum, der möglichst frei von diskriminierendem Verhalten sein soll und in dem Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, sich austauschen können.